In Milch Teil 1 haben wir uns der Milch angenähert und beschrieben, in welchem Verhältnis sie zu einigen Krebsarten steht.
Das sind allerdings nicht die einzigen Mythen, die rund um die Milch ranken. In einigen Internetdiskussionen wird auf die Gefahr hingewiesen, dass Milch und Milchprodukte dick machen, den Körper übersäuern und somit direkt zur Osteoporoseentwicklung beitragen würden.
Also eins nach dem anderen.
Widmen wir uns zunächst der Frage, ob Milch und Milchprodukte wirklich „dicker“ machen als andere Lebensmittel.
Es sei auch hier gesagt, dass weiterhin alle physikalischen Gesetzte gelten. Somit entscheidet die Kalorienbilanz darüber, ob jemand Fettgewebe auf- oder abbaut. Eigentlich sollte dieser Einschub schon reichen, um den Mythos aus der Welt zu radieren. Doch so einfach ist die Sache wohl nicht.
Die Mähr des vermehrten Fettzuwachses durch die Milch entstand wohl durch die Tatsache, dass einige Studien die weiße Flüssigkeit in einen Zusammenhang mit einem verstärken Insulinausstoß[1] pro enthaltenen Kcal im Vergleich zu anderen Lebensmitteln brachten (vgl. Taeger, 2018). Insulin soll hierbei nicht das zentrale Thema sein. Dennoch lässt sich schon verraten, dass dieses anabole Hormon nicht die Ursache allen Übels ist.
Trotz dieser Wirkung auf das Hormon Insulin scheinen die Milchprodukte nicht mit Übergewicht in Verbindung zu stehen (vgl. Alonso et al; Rajpathak et al., Thompson et al., Wennersberg et al., Murakami et al., Rosell et al.). So stellt Frank Taeger[2] fest, dass in allen Interventionen ähnliche Ergebnisse gefunden wurden und keine Verbindung von Milch zu Übergewicht hergestellt werden konnte (vgl. Gunther et al., 2005)
Eine weitere Behauptung in Bezug auf Milch ist, dass sie den Säure-Basen-Haushalt stark belaste und dahingehend Osteoporose befördere.
Woher kommt diese Behauptung? Begründet wird diese Behauptung dadurch dass die Milch hauptsächlich aus Kasein besteht und dies über die Niere abgebaut werden muss. Das Kasein besteht aus schwefelhaltigen Aminosäuren, welche saure Aschen bilden. Eben diese Nahrungsaschen müssen über die Niere gefiltert werden. Die Niere ist als Puffersystem für die Beständigkeit des Säuren-Basen-Haushalts größtenteils verantwortlich. Befürworter_innen der Säure-Basen-Theorie leiten daraus folgenden Mechanismus ab: Da eine relative Häufigkeit des Milch- und Milchprodukte Konsums zu einer Mehrbelastung der Niere führt, könnte sie diese „Abnutzung“ nicht kompensieren. Dies könnte dann dazu führen, dass der pH-Wert aus den gewünschten Fugen gerät. Hierbei sei gesagt, dass die Stoffwechselvorgänge im Körper in unterschiedlichen pH-Milieus ablaufen müssen (vgl. Horn, 2015). Horns „Biochemie des Menschen“ erklärt diesen Vorgang detailliert (vgl. 2015, S. 611):
„Veränderungen des pH-Wertes würden sofort den Ladungszustand von Proteinen und damit die Aktivität von fast allen Enzymen beeinflussen, was unmittelbar lebensbedrohend wäre“
(Horn, 2015)
Der pH-Wert des Blutes wird durch die Puffersysteme weitestgehend konstant bei 7,35–7,45 gehalten. Ein gesunder Mensch kann ohne Probleme viel Kasein (oder anderes Protein) zu sich nehmen, ohne dass es zu Problemen mit der Niere führt (vgl. Antonio et al., 2018; van Elswyk et al., 2018). Den pH-Wert des Blutes über die Nahrung zu beeinflussen, ist schier unmöglich (vgl. Taeger, 2018). Für den Status quo im Blut sorgt zunächst das Kohlensäure-Bicarbonat-System, welches ebenfalls dafür verantwortlich ist, dass wir bei Anstrengung eine verstärkte Atemtätigkeit aufweisen, um die zerfallene Kohlensäure als Kohlendioxid abzuatmen. Die Muskulatur kann somit weiter kontrahieren (oder halt nicht). Erst später schalten sich die Nieren als Hauptpuffersystem ein (vgl. Horn, 2015). Beim Gesunden funktioniert dieser Vorgang wie ein Uhrwerk. Bei schwerwiegenden Krankheiten leider nicht und so (z.B. Diabetes Typ 1) kann es zu einer sog. Azidose kommen. Eine metabolische Azidose wird erreicht, wenn die Säureproduktion die Puffersysteme massiv und dauerhaft überlasten würde (Alkoholkranke, Methanolvergiftung, Nierenversagen etc.), was ohne medizinische Versorgung zum Tode führen würde.
Ein weiteres kurzfristiges Puffersystem stellt (im Gesunden) der Calciumcarbonat-Puffer des Knochenwassers dar. In einer kurzfristig erhöhten Säurelast nimmt der Knochen dabei keinerlei Schaden. Es gibt nur wenige Umstände, in denen der Körper den Knochen direkt angreift, um die Säure zu puffern. Dies ist z. B. bei einer Nierenkrankheit oder Nierenversagen der Fall (vgl. Taeger, 2018, Horn, 2015).
Ein erhöhter Proteinkonsum aus tierischen Proteinen ist mit erhöhter Knochendichte assoziiert (vgl. Taeger, 2018). In den zitierten Studien der Säure-Basen-Theoretiker_innen wird oftmals die in Blut und Urin gelöste Menge an Calcium als Referenzwert für den Knochenabbau genannt. Dabei werden Medizinstudierende im klinischen Semester bestätigen können, dass nicht die Menge des Calciums die den Körper verlässt für die Knochendichte wichtig ist, sondern wie viel des Calciums dabei aus dem Knochen direkt gelöst wurde (vgl. Bonjour, 2013). Denn dies würde beweisen, dass die Säurelast die Pufferkapazität übersteigt und Knochenmasse abgebaut würde. In einigen Studiendesigns wurde die Säurelast nun über den Urin kontrolliert. Die Teilnehmenden mussten auf ein Kontrollstäbchen urinieren, wodurch der pH-Wert gemessen wurde. Der Wert des Urins ist allerdings gewissen Schwankungen erlegen und in der Regel eher sauer. Des Weiteren tätigt diese Art der Testung, wie schon erwähnt, keine direkte Aussage darüber, ob Calcium aus dem Knochen gelöst wird (Fenton et al., 2009a; Fenton et al., 2009b).
Der Themenkomplex zum Säure-Basen-Haushalt ist hier nur kurz angerissen und keinesfalls vollständig abgehandelt. Allerdings reichen die Ausführungen, um einen groben Überblick über den Kontext zur Milch zu bekommen. Schlussendlich fußen die Theorien der Säure-Basen-Vertreter_innen auf tatsächlich metabolischen Vorgängen. Nur eben mit den falschen Schlussfolgerungen.
Abschließend bleibt noch zu sagen, dass Milch zwar eine beliebte Calciumlieferantin sein kann, allerdings nicht die beste und schon gar nicht die einzige ist. Brokkoli eignet sich, auch aufgrund seiner Bioverfügbarkeit, bestens als Calciumquelle. Ihr benötigt für die gleiche Menge an Calcium, die in einem Glas Milch enthalten ist, ca. 250 Gramm Brokkoli. Weiterhin ist die Milch keinesfalls energiearm. 100 ml Vollmilch haben ordentliche 60 kcal., wohingegen eine vergleichbare Menge an Coca-Cola lediglich 42 kcal. hat. Falls es euch primär um die Energiebilanz geht.
Fazit
Milch stellt absolut kein Muss in der Ernährung dar und ist mit Sicherheit auch nicht der heilige Gral der Ernährungswissenschaften, doch eignen sich die aus ihr gewonnen Produkte bestens zur Deckung der eigenen Proteinbilanz. Was wir aus dem vorhandenen „Body of Evidence“ sagen können, ist, dass Milch wohl weder der Grund für übermäßiges Übergewicht, noch für Osteoporose oder Krebs zu sein scheint. Die ethisch und moralische Komponente der eventuellen Ausbeutung von Tieren oder die Konsequenzen für das Klima bleiben hier unberücksichtigt. Mir als Autor ist darüber hinaus wichtig, dass die Menschen mit der richtigen Basis argumentieren. Wem das Wohl des Tieres wichtig ist, der sollte weitestgehend auf tierische Produkte verzichten. Die Argumentation in Richtung „gesundheitlicher Bedenklichkeit“ ist größtenteils inkorrekt.
[Autor: L. Ahl]
Zum Autor
Lasse Ahl hat seinen BA sowie MA am sportwissenschaftlichen Institut der Universität Göttingen absolviert, arbeitet seit 6 Jahren im universitären Fitnessstudio (FIZ) in den Bereichen Training, Ernährung, Übungsleiter_innen-Weiterbildung, Verwaltung und Research. Er schreibt viel und fleißig für den Blog der FIZ-Homepage
[Disclaimer: Die Meinung des Autors muss nicht zwangsläufig die Meinung der gesamten Redaktion widerspiegeln. In einem Blog sind persönliche Meinungen und Erfahrungsberichte enthalten. Dennoch achten wir stets auf die wissenschaftliche Validierung unserer Texte.]
[1] [Mehr zu Insulin:
Mehr Infos 1 Mehr Infos 2
[2] [Achtung: Werbung! Wie schon im ersten Teil der Milchreihe erklärt findet sich in Frank Taegers neuem Buch (Stark Satt Schlank) eine weitreichende Abhandlung über die gesamte Forschungsarbeit des Ernährungsfeldes der letzten Jahre und ist definitiv sein Geld wert!]
Quellen:
[icon name=“angle-right” class=”” unprefixed_class=“”] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/1948626
[icon name=“angle-right” class=”” unprefixed_class=“”] https://academic.oup.com/annonc/article/23/1/37/163313
[icon name=“angle-right” class=”” unprefixed_class=“”] https://econtent.hogrefe.com/doi/10.1024/0300–9831/a000063
[icon name=“angle-right” class=”” unprefixed_class=“”] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1359/jbmr.090515
[icon name=“angle-right” class=”” unprefixed_class=“”] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2761938/
[icon name=“angle-right” class=”” unprefixed_class=“”] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15817848
[icon name=“angle-right” class=”” unprefixed_class=“”] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0899900705003801?via%3Dihub
[icon name=“angle-right” class=”” unprefixed_class=“”] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16522901
[icon name=“angle-right” class=”” unprefixed_class=“”] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/?term=Rosell+association+between+dairy+food+consumption
[icon name=“angle-right” class=”” unprefixed_class=“”] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16129716
[icon name=“angle-right” class=”” unprefixed_class=“”] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19710195
[icon name=“angle-right” class=”” unprefixed_class=“”] Horn (2015): Biochemie des Menschen, 6. Aufl.