Sport­an­ge­bot

Ein Pferd springt nicht höher als es kann

Har­mo­nie im Grenz­be­reich

Text: Signe Hen­ne­berg

Beim Reit­sport sol­len Mensch und Pferd mit­ein­an­der har­mo­nie­ren. Doch da, wo Grenz­be­rei­che erreicht wer­den, stellt sich schnell die Fra­ge, ob das funk­tio­nie­ren kann.

Sur­rend schnei­det das Leder der Ger­te durch die Luft. Mit einem Knall endet die Bewe­gung auf der Haut mit brau­nem Fell. Der Vor­gang wie­der­holt sich, wie­der und wie­der. Dem Pferd ist die Angst ins Gesicht geschrie­ben, die Augen ins Wei­ße ver­dreht und die Zäh­ne gebleckt. Der Rei­te­rin geht es nicht anders. Die Trä­nen lau­fen, die Hän­de zit­tern. Der Blick geht immer wie­der hil­fe­su­chend zu der Trai­ne­rin am Ran­de des Plat­zes. Die drängt wei­ter: „Schlag mal ordent­lich drauf!“

Bis zu die­sem Zeit­punkt stand Anni­ka Schleu im Fünf­kampf an der Spit­ze der Tabel­le. Und dem Schein nach macht ihr das Leih­pferd Saint Boy einen Strich durch die Rech­nung. Pferd und Rei­te­rin ken­nen sich nicht, konn­ten sich nicht gemein­sam auf die­se Situa­ti­on vor­be­rei­ten. Eine Situa­ti­on in einem inter­na­tio­na­len Wett­kampf, in der Rei­te­rin und Pferd nicht ange­spann­ter sein könn­ten.

Nach Bil­dern wie die­sen drängt sich die Fra­ge der Ethik im Reit­sport auf. In den Medi­en ist immer wie­der von gequäl­ten Tie­ren zu hören. Was ist im Reit­sport ver­tret­bar, wenn er es über­haupt noch ist? Die Mei­nun­gen dazu spal­ten sich.

Heut­zu­ta­ge wird der Reit­sport haupt­säch­lich zur Frei­zeit­ge­stal­tung aus­ge­übt. Für Ricar­da Twiet­mey­er gehört der Sport zu ihrem Leben. Die 22-jäh­ri­ge ist Obfrau der Stu­die­ren­den­reit­grup­pe Göt­tin­gen und besitzt ein eige­nes Pferd. Die Grup­pe distan­ziert sich auch ganz klar vom moder­nen Fünf­kampf. „Bei uns steht das Gesamt­ge­sche­hen im Vor­der­grund, nicht der Sieg“, so die Rei­te­rin. Auch wenn bei den Tur­nie­ren der Reit­grup­pe, wie bei dem moder­nen Fünf­kampf, die Pfer­de zuge­lost wer­den, könn­te es nie­mals zu solch einer Situa­ti­on kom­men. Wenn es zwi­schen Pferd und Reiter:in nicht passt, dann wird abge­klin­gelt, auch schon beim Abrei­ten kön­nen die Richter:innen ein­grei­fen. Das bedeu­tet, dass die­ses Duo nicht an dem Tur­nier teil­neh­men wür­de.

Wei­ter­hin betont Ricar­da, dass man die Tur­nie­re der Reit­grup­pe auch kaum mit dem Spring­rei­ten des Fünf­kamp­fes ver­glei­chen kann. „Uns geht es mehr um das Drum­her­um. Neue Leu­te ken­nen­ler­nen, alte Freun­de wie­der­se­hen und Spaß mit­ein­an­der haben!“ Viel­leicht freu­en sich eini­ge olym­pi­sche Teilnehmer:innen auch dar­auf, aber der Druck erfolg­reich zu sein und den Sieg mit nach Hau­se zu neh­men, ist doch deut­lich höher. Das ist natür­lich kei­ne Ent­schul­di­gung, aber erklärt die Reak­ti­on von Anni­ka Schleu.

Dem Wech­sel zum Hin­der­nis­lauf steht Ricar­da posi­tiv gegen­über. Rei­ten ist ein anspruchs­vol­ler Sport, der viel Trai­ning für Mensch und Pferd erfor­dert. Wenn zeit­gleich für vier wei­te­re Sport­ar­ten trai­niert wer­den muss, kann man nicht viel erwar­ten. „Das, was dort dann zu sehen ist, ist dann eben auch lei­der kein glän­zen­der Spring­sport mehr“, so die Rei­te­rin.

1995 wur­den das ers­te Mal „Die ethi­schen Grund­sät­ze des Pfer­de­freun­des“ von der Deut­schen Rei­ter­li­chen Ver­ei­ni­gung ver­öf­fent­licht und 2005 ergänzt. Unter Punkt 7 ist z. B. die Rede von der größt­mög­li­chen Har­mo­nie zwi­schen Mensch und Pferd bei der Zusam­men­ar­beit. Groß­ar­tig bekannt sind die­se Punk­te aber auch nicht, Ricar­da sagen sie zum Bei­spiel nichts. Da stellt jeder Ver­ein oder jede Reit­grup­pe eige­ne Regeln auf.

Anni­ka Schleu will 2024 bei den Olym­pi­schen Spie­len erneut star­ten. Sie möch­te wie­der antre­ten, um es bes­ser zu machen. Dabei wol­le sie sich auch für einen bes­se­ren Umgang mit Pfer­den ein­set­zen, wie sie im Inter­view mit dem Spie­gel berich­te­te. Wie genau sie das machen möch­te und was sie sich dar­un­ter vor­stellt, gibt sie nicht preis.

Gegen Rei­te­rin Anni­ka Schleu und Bun­des­trai­ne­rin Kim Rais­ner wur­de nach dem Vor­fall vom Deut­schen Tier­schutz­bund Anzei­ge gestellt. Inzwi­schen ist das Ver­fah­ren ein­ge­stellt, da auf das Pferd nur kurz­fris­tig ein­ge­wirkt und ein Geld­be­trag an eine gemein­nüt­zi­ge Orga­ni­sa­ti­on gespen­det wur­de. Anni­ka Schleu ver­wen­de­te nur Mit­tel, die in so einem Tur­nier ver­wen­det wer­den dür­fen, wie Spo­ren und Ger­te. Auch Schleu selbst weist Vor­wür­fe, wie etwa eine Tier­quä­le­rin zu sein, zurück. Sie habe nie grob oder extrem gehan­delt und das Pferd ver­letzt.

Die Fra­ge bleibt also. Was ist im Reit­sport ver­tret­bar, wenn er es über­haupt noch ist?