Von Scrim, Clutch und PC Master Race – Über den E‑Sport aus Göttingen
Text von Janek Klötzer
Die Menge tobt, doch alles ist ruhig. „SturmKoala“ ist glücklich, erschöpft und verschwitzt, doch von der Stelle bewegt hat er sich nicht. Vor wenigen Sekunden noch konnte sein Team gegen einen zunächst übermächtig wirkenden, erfahrenen und eingespielten Gegner den Sieg erringen.
Mit einem geschulten Blick, schneller Reaktion und flinken Händen konnte er von seinem heimischen Schreibtisch aus einen spielentscheidenden Multikill durchführen, seinem Team zum Rundensieg verhelfen und rund 1.700 zuschauende Menschen in Ekstase versetzen. Sie feiern im Chat des Streamingportals Twitch seine Aktion. Per Headset hört er seine Mitspieler*innen, die seinen „Clutch“, wie es in der E‑Sport-Community genannt wird, lautstark bejubeln.
„SturmKoala“, das ist abseits der virtuellen Welt eigentlich Felix Koch, der Vorstandsvorsitzende der Göttinger Hochschulgruppe „E‑Sport Union Göttingen e.V.“, kurz ESUG. „Overwatch“, bei dem ihm der „Clutch“ gelang, ist nur eines von vielen Spielen, das mittlerweile eine große Community besitzt und von der 2017 gegründeten Hochschulgruppe angeboten wird. Mit zunehmender Zeit und steigender Mitgliederzahl hat sich das Spektrum an Spielen, die bei der ESUG Anhänger*innen finden, erweitert. Sie werden von einem jeweils eigens dafür eingerichteten Ressort abgedeckt. Alle seien willkommen, betont Felix, nicht einmal an der Uni müsse man eingeschrieben sein, wobei die Möglichkeit, online mitzuspielen schon gegeben sein sollte. „Am besten man besitzt einen Computer“, unterstreicht der Göttinger Student. Die meisten professionellen E‑Sport-Events würden auf dem PC ausgetragen, Konsolen seien eher die Ausnahme. Als „PC Master Race“ bezeichnen das die alteingesessenen E‑Sportler*innen. Wieder einer dieser Fachbegriffe, auf den Neulinge stoßen, wenn sie sich in die Welt des E‑Sports einfinden möchten. „Viele befürchten, dass hier bei uns nur die absoluten Pro-Gamer sitzen“, meint Felix. Wir freuen uns aber genauso über Personen, die neugierig sind und Interesse haben, E‑Sport auszuprobieren. 2020 begann deshalb eine Zusammenarbeit mit dem Göttinger Breitensportverein ASC, heute ist die Gruppe auch ein eingetragener Verein. In dem ist es nun möglich, in einem mit PCs ausgestatteten Raum Offline-Trainings zu machen, um all diejenigen anzusprechen, die es vorziehen, auch jenseits der der Online-Kommunikation miteinander in Kontakt zu treten. So wolle man auch die „Casual-Spieler*innen“, also die etwas weniger Ambitionierten, zu sich locken und Teams bilden. Dann ist zumeist von „Scrims“ die Rede, nämlich Testspielen, bei denen sich verschiedene Teams der ESUG mit anderen E‑Sport-Vereinen aus ganz Deutschland messen, um Taktiken und Spielzüge zu erproben, die das Team für die kommende Uniliga-Saison wappnen sollen.
Um erfolgreich im E‑Sport zu sein, komme es vor allem auf Spaß und Zeit an, die man mitbringen müsse, aber, so ist sich der Vorstandsvorsitzende sicher, das Gesellige und Familiäre dürfe ebenso wenig fehlen. „Und jetzt rösten wir schön noch Tomatenmark mit an“, heißt es dann in einem der ESUG-Kochstreams mit brutzelnder Pfanne im Hintergrund. Einige Mitglieder des Vereins hatten sich einmal versammelt, um zusammen zu kochen und das als Livestream mit anderen zu teilen. Die ESUG präsentiert seitdem nicht nur atemberaubende Clutches, sondern auch mal Spaghetti mit Linsenbolognese. Anstatt die Teamtaktik wegen einer wechselnden Spielkarte anzupassen, wird selbst gekochtes Essen probiert. So wird neben einer gemeinsamen Offline-Aktivität, beispielsweise dem Kochen, zugleich auch auf einen der Sponsor*innen aufmerksam gemacht, der die Rezepte zur Verfügung stellt.
Längst ist E‑Sport nicht mehr nur auf die Konsole oder den Computer beschränkt. Gemeinsames Fußballspielen und Grillabende gehören heutzutage ebenso zum wettbewerbsorientierten Videospielspielen wie die Zusammenarbeit mit Sponsor*innen, die Teamtrikots oder Spielserver finanzieren. „Das Stereotyp des im Keller sitzenden, ungeduschten Gamers, der ausschließlich am Computer sitzt, ist völlig unreflektiert“, sagt Felix. Die kognitive Leistung, die E‑Sportler*innen abrufen müssen, sei hoch. Ohne Bewegungsausgleiche, ohne reale, soziale Interaktion sei das bei den heutigen Spielniveaus nicht mehr zu bewerkstelligen. Das ist bei der ESUG nicht anders als bei professionellen E‑Sportvereinen, die um hohe Preisgelder spielen und an prestigeträchtigen Turnieren mit internationaler Aufmerksamkeit teilnehmen.
Damals wie heute zahlt sich das intensive Training und die Arbeit des Vereins aus. Es sind diese einzigartigen Situationen, diese Momente eines „SturmKoalas“, die so viele faszinieren. Vor hunderten Zuschauer*innen diesen entscheidenden Spielzug zum Abschluss zu bringen und seinen Teil zum Teamerfolg beizutragen, motiviert die Spieler*innen. Nach dem gewonnenen Overwatch-Matchlässt Felix seine Maus los, atmet tief durch und lässt sich in seinen Gaming-Stuhl fallen. „In diesem Moment war es um mich geschehen, in diesem Moment habe ich mir gedacht: E‑Sport ist toll!“ resümiert der Student mit einem breiten Lächeln.
So geht es offenbar vielen anderen Videospielbegeisterten auch. E‑Sport wächst und ist längst dabei, sich einen Platz in der Unterhaltungs- und Sportindustrie zu erkämpfen. Die ESUG ist Teil dieses Aufschwungs und wird wohl selbst davon noch profitieren.
Über den Autor:
Ich bin Janek Klötzer, 21 Jahre alt und studiere im 5. Semester Germanistik und Geschichte im Zweifach-Bachelor an der Uni Göttingen. Mit Sprache zu arbeiten, zu recherchieren und Texte zu schreiben macht mir Spaß. Das Seminar zum Printjournalismus bot eine perfekte Möglichkeit, eigene journalistische Versuche zu Papier zu bringen.
Die ESUG-Gruppe organisiert regelmäßig Trainings beim ASC Göttingen (ASC Clubhaus, also in Präsenz)
- Mittwoch: 18:30–21:30 Uhr für das Spiel Counter Strike Go
- Donnerstag: 18:30–21:30 Uhr für das Spiel Rocket League
- Freitag: 15:30–20:00 Uhr für das Spiel League of Legends).
Tatsächlich sollte man sich jedoch lieber erst einmal beim Verein melden. Das ist digital möglich, indem man sich in die vereinseigenen Discord- oder Teamspeak-Server einloggt. Die Links dazu findet man auf der Internetseite und sind für jeden frei zugänglich (https://www.esugesports.de/ueber-uns/mitmachen). Ansonsten kann man sich selbstverständlich auch direkt per Mail an die Gruppe wenden (esports@sport.uni-goettingen.de).
Ansprechpersonen sind hier vor allem der Vorsitzende der Hochschulgruppe Felix Koch, mit dem ich auch das Gespräch für den Text geführt habe.