Gladiatorischer Teamsport
Text: Helena Knüppel
oder einfach: Willkommen beim Juggern! Jugger ist ein noch recht junger Sport, bei dem es auf Teamgeist ankommt. Mitmachen kann jede*r.
Szenen wie aus einem Kampfgetümmel. Pink gegen Blau, Ninjas gegen Blauzähne. Alle warten, warten auf das Signal zum Angriff. Dann, der erlösende Schrei: „DREI, ZWEI, EINS: JUGGER!“ und die Meute rennt los, auf die Mitte zu. Und schon kniet jemand mit angestrengtem Blick am Boden. Hand auf dem Rücken, bewacht von einem großen Kerl mit einer schwingenden Kette. Dann huscht eine*r, flink wie ein Hase, über das Spielfeld und versenkt etwas Ovales in einem Halter am Boden. Lautes Gejubel, der Spielzug ist vorbei.
Vom Film zum Sport
Solche Geschehnisse lassen sich zum Beispiel in Göttingen auf den Plätzen des Hochschulsports finden. Seit 2016 trainiert hier die „Lokomotive Black Ninja“, gegründet von Matteo Perek, Felix Monjau und Florian Heinemann, alle schon „alte Jugger-Hasen“. Trainer der Gruppe ist Matteo. Er spielt bereits seit 2009 Jugger, nur zwei Jahre zuvor ist das allererste Göttinger Team entstanden. Und nur zwanzig Jahre vorher ist überhaupt erst die Idee „Jugger“ geboren: In dem Film „Die Jugger — Kampf der Besten“ (1989), wo die Sportart als Art Gladiator*innenkampf vorkommt. Kurz nach Erscheinung des Films übernimmt die deutsche LARP-Szene (kurz für „Live Action Role Playing“) Jugger erstmalig in Berlin und Hamburg als Ergänzung für ihr Roleplay. In den folgenden Jahren sondert sich die Sportart immer mehr von der LARP-Szene ab. Als 1995 die ersten Kontakte zwischen den Teams entstehen, ist der Grundstein gesetzt. Drei Jahre später folgt das erste Jugger-Turnier.
Kampf um den Hundeschädel
Jugger gilt als Teamsport mit Analogien zum Rugby und Fechten: Es stehen sich zwei Teams in einem achteckigen Spielfeld gegenüber und versuchen, in den Besitz eines Balls („Jugg“) zu gelangen und ihn zum gegnerischen Tor („Mal“) zu bringen. Wichtig hierfür sind die Einzelkämpfe, bei denen durch eine Art Fechtduell gegnerische Spieler*innen für gewisse Zeit „ausgeschaltet“ werden, sobald jemand mit einer Pompfe getroffen wird. Unter einer Pompfe versteht man eine Art Stock mit Polsterung, von der es die unterschiedlichsten Arten gibt. Kurzpompfe mit Schild, Langpompfe, Q‑Tip oder doch den Stab? Dies ist allen selbst überlassen, je nach Geschmack. Die Kette sticht als besondere Pompfe hervor: Sie besteht aus einem Ball, der an einer Schnur hängt und gezielt geschleudert werden kann. Dadurch ist sie zwar auf Distanz sehr stark, aber auch leicht angreifbar, sobald sich eine Lücke ergibt. Für den „Jugg“, der den im Film genutzten Hundeschädel imitieren soll, ist pro Team ein*e unbewaffnete*r „Läufer*in“ verantwortlich. Ganz harmlos ist die Rolle nicht, denn sowohl die gegnerischen „Pompfer*innen“ als auch die anderen „Läufer*innen“ versuchen, dies zu verhindern. Nicht selten kommt es zu einem „Kampf“ zwischen den Läufer*innen. Auch dieser findet individuell statt, wie der erfahrene Juggerer erläutert: „Die Läufer*innen können vorher im Zusammenhang mit den Schiris über den Härtegrad des ‚Kampfes‘ reden. Aber generell ist der Läuferkampf geregelt als etwas, was man griechisch‑römisches Ringen nennen kann“, sagt Mateo. Bestimmt wird das Spiel durch rhythmisches Trommeln: Früher bestand ein Spiel noch aus zwei Halbzeiten à 100 getrommelten „Steinen“. Heute sind 3 Sätze à 5 Punkte Standard, die Steine bleiben aber weiterhin als Zählinstanz für das Hinknien bestehen. Der 34-jährige ergänzt: „Da man nach dem Hinknien nach einer gewissen Zeit wieder aufstehen darf, kann es bei ausgeglichenen Teams zu sehr langen und anstrengenden Spielzügen mit wechselndem Ballbesitz und wechselnder Überlegenheit kommen. Ein Spielzug kann also zwischen 10 Sekunden und 10 Minuten dauern.“
Der Teamsport für jede*n
Jugger ist ein schneller Sport, der durch Taktik und Technik bestimmt wird. Und dennoch ist es eine der wenigen Sportarten, bei denen wirklich jede*r mitspielen kann. Ob groß oder klein, unerfahren oder erfahren, es gibt immer eine Rolle und Position, die eine Nische ausfüllt. „Es gibt viele Möglichkeiten, verschiedene Lücken auszuspielen“, berichtet der Göttinger. Nur man selbst muss seine Grenzen kennen und schauen, was man sich zutraut. „Sachen wie Größe, Geschlecht oder Unsportlichkeit sind egal. Auch Behinderungen müssen kein Hindernis sein.“ Bestes Beispiel dafür gäben „Die Rehabilitanden“ ab, ein Rollstuhlteam aus Hannover, die 2011 und 2012 an bundesweiten Turnieren teilnahmen.
Beim Jugger werden die Leute aufgenommen, damit sie langfristig bleiben. Zudem ist der Sport noch so neu, dass das Regelwerk nicht in Stein gemeißelt ist. Neue Idee? Ausprobieren und einbringen! Und dann muss es nur noch heißen: „DREI, ZWEI, EINS: JUGGER!“
Über die Autorin:
Helena studiert Germanistik und Geschichte im Bachelor. Als Ausgleich, oder vielleicht gerade deswegen, ist Jugger seit letztem Sommer ihr neues Hobby geworden.